Ganz still sitze ich hier... in der Schwärze... in der Leere... bewege mich nicht... und wenn ich jetzt meine Augen öffne... dann werde ich sehen... ganz langsam... sie dürfen sich nicht überanstrengen... meine Augen... gaaaaanz langsam. Zögernd beginnt sie ihre Lieder zu öffnen, entgegen den Anweisungen von demjenigen der sie vorhin behandelt hat... nichts... sie sieht rein gar nichts. Einmal mehr in dieser Nacht spürt sie die salzigen Tränen die aufsteigen und sich in ihren leeren Augenhöhlen sammeln, die offenen Wunden entlang laufen und Schmerzen verursachen. So gehofft hatte sie dass dies alles nur ein böser Traum, eine Sinnestäuschung oder Einbildung gewesen wäre, doch der Schmerz in ihren Höhlen und die leere in ihrem Mund die vom fehlen ihrer Zunge zeugt. Von den vielen Schnitten in ihrer Haut gar nicht zu schweigen, doch die konnte sie wenigstens vor anderen verbergen. Sie versucht die aufkommenden Tränen tapfer herunter zu schlucken, doch es misslingt. Also nimmt sie sich vor nicht allzu laut ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. Nicht aus Stolz oder Würde, den diese Dinge sind ihr nun fremd geworden, sondern einzig in der Hoffnung in der Ecke dieses Raumes vergehen zu können, ganz still und leise.
"Armes Kind... schmerzt es sehr?"
Die geflüsterten Worte sind direkt an ihr Ohr gedrungen. Eine überaus männliche und tiefe Stimme, doch auch voller Spannkraft. Den Träger dieser Stimme hat sie nicht kommen gehört, aber ist dies auch ein Wunder, sie musste sich noch nie auf ihr Gehör verlassen. Und irgendwie hat sie das Gefühl als würde diese besorgt klingende Stimme sie auch verhöhnen. Nein, ich sage nichts, bewege mich nicht. Geh weg! Such dir ein anderes Objekt zum anglotzen. Dachte sie in einem Anfall von Wut. Natürlich würde sie dies niemals laut aussprechen, selbst wenn sie könnte. Sie war nur eine Magd und die Männer und Frauen hier sind alles Gelehrte und Magusche. Selbstvertrauen ist etwas für diejenigen die auch etwas wert sind im Leben. Sie war früher kaum etwas wert und nun ist sie gar nichts... eine unnütze Esserin, vermutlich bald schon eine Bettlerin. Wer wolle sie schon haben. Nehmen wir doch die blinde und stumme Kyara für unseren Hof. Die wird sicher nützlich sein wenn sie gegen die Wände läuft und den Besuch mit ihren gekrächze empfängt. Diese und andere Sprüche die sie sicher bald zu hören kriegt wandern durch ihren Kopf. Früher war sie wenigstens noch hübsch gewesen... sicher keine Nymphe, aber für ein einfaches Mädchen recht ansehnlich. Vielleicht hätte sie ohne diese hässlichen Schnitte in ihre Haut noch einen Mann abbekommen der für sie gesorgt hätte. Ein alter, hässlicher Tropf mit gutem Herzen. Aber nicht einmal das hat dieses... Ding ihr gelassen. Wenn sie die Haut anspannt fühlt sie wie sich die einzelnen Schnitte öffnen und sich die Decke mit der sie ihren verschandelten Leib umhüllt, darin verfängt. Nur nicht bewegen... ganz still, ganz leise, ganz klein... sein.
"Diese Muster sind für die Albae Kunst, Kyara. Es ist ihre Art von Schönheit."
Der Fremde war ja immer noch da. Und immer noch muss er sich genau neben ihr befinden, da seine Worte direkt in ihr Ohr geflüstert wurden. Als einzige Antwort beginnt sie die Decke noch fester um sich zu wickeln. Ist sie etwa nicht ganz bedeckt? War der Fremde schon immer in diesem Zimmer gewesen und hat ihren nackten, entstellten Körper gesehen? Oder war er vorhin am Eingang und bei der jungen Frau? Kyara ist die Antwort eigentlich egal, sie will einfach nur auf diesem Bett sitzen bleiben und alles vergessen und vergehen.
"Er hat euch... zu einem Kunstwerk gemacht."
Wieder hallen die Worte des Fremden in ihr Ohr. Zu einem Kunstwerk!?! Genau das hat auch dieses silberne Gesicht gesagt. Ich mache dich zu meinem Kunstwerk. In diesem Moment ist es ihr egal wer hier neben ihr steht. Es könnte der Maguschakademieleiter persönlich sein, ihre Handlung ist ein einziger Reflex auf diesen Stich in ihre Seele den er ihr bereitet hat. Ihre Rechte lässt die Ecke der Decke fallen und schlägt nach seinem Gesicht für eine kräftige Ohrfeige. Und wenn sie dafür davon gejagt wird und irgendwo in der Gosse verhungern muss, sie kann es einfach nicht ertragen.
Ihre Hand trifft nicht seine Wange. Oder seinen Kopf. Oder sonst irgendetwas. Ihr schlag geht ins Leere. Er muss dies wohl geahnt haben. Sicher steht er jetzt nur ein paar Schritte von ihr entfernt und lacht sich krank über sie, dieser Bastard. Die Gespräche in der Mitte des Raumes sind einen Augenblick verstummt. Kyara spürt fast schon die Blicke die auf ihr Ruhen. Einige Atemzüge vergehen, ohne dass etwas zu hören ist, dann ist das getuschel der anderen Anwesenden wieder in vollem Gange. Allerdings scheinen sie sich nun lauter zu unterhalten, Kyara kann plötzlich einiges davon mithören. Eine ältere Frau, und zwei Männer, ein jüngerer und ein älterer unterhalten sich nicht weit von ihr entfernt. Aber keiner von ihnen war der Sprecher von vorhin.
"Schrecklich, einfach schrecklich, jetzt verliert sie auch noch ihren Verstand." - "Kannst du es ihr verübeln? Das arme Ding hat einiges durchmachen müssen, und diese Nacht ist noch nicht vorbei."
"PSSSSTT! Ihr fordert es mit solchen Reden doch geradezu heraus, seid ruhig!" - "Was soll ich herausfordern? Hast du etwa vergessen dass sie vorhin einen toten Wächter gefunden haben? Wir haben unangenehmen Besuch, also was soll ich denn da noch herausfordern. ... Glatt reingegangen in die Kehle, haben sie gesagt... glatt rein." - "Nein wie schrecklich, nein, ... mir mir wird ganz übel... nein..."
Kyara hat genug gehört. Sie hat eine Ahnung wer sich in diesem Gebäude herum treibt. Benommen dreht sie sich zur Seite hin und legt sich nieder. Die Decke fest an ihren Körper gepresst beginnt sie zu schluchzen. Ihre Beine zieht sie an ihren Körper und ganz leicht wiegt sie sich hin und her. Nein, nein, nein, nein Nein! Lasst mich aufwachen... ob er zu mir kommt?... nein! lasst mich aufwachen, bitte, lasst mich aufwachen, oder sterben... lasst mich sterben oder bestraft ihn, oh Götter, er hat es doch verdient! Bestraft ihn! Leise weint sie sich in einen unruhigen Schlaf hinein.