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Tami braucht nicht zu schreien, um Silas zu beunruhigen. Entgegen seiner Erwartung wird ihr Herzschlag nämlich nicht ruhiger, sondern genau das Gegenteil. Aber er beschliesst, sie nicht erneut zu fragen, ob es ihr wirklich gut geht. Sie weiss, dass er hier ist.
Stattdessen dreht er sich auf den Rücken und sieht hoch zur Decke, wo er in der Dunkelheit einzelne, dunkle, schwere Holzbalken ausmachen kann. Ich glaube, dass es jemand von euch war. Aber ich verstehe nicht, weshalb. schickt er seine stillen Gedanken hoch in den Nachthimmel und fragt sich einmal mehr, ob Antariel hier ist.
Doch wie so oft erhält er keine Antwort. Was bleibt ist die Stille und Tamis schnell klopfendes Herz. Camden wimmert unter ihnen leise, was sie als Anreiz nimmt, sich wieder zu beruhigen. Doch ihr Leben hat sich innerhalb von nur ein paar Tagen von überschaubar und ruhig in chaotisch und alles andere als ruhig entwickelt. Sie hat in diesen wenigen Tagen mehr Erfahrungen gesammelt als in ihrem ganzen bisherigen Leben zuvor. Und das macht sie unheimlich wütend und gleichzeitig unfassbar verzweifelt.
Silas ringt mit sich. Er würde Tami gerne fragen, was sie so unruhig macht, bringt die Worte aber nicht über die Lippen. Stattdessen legt er seine Hand mit der Handfläche nach oben neben sie auf den Strohsack. Ein stummes Angebot, das sie annehmen kann oder nicht.
Tami zögert lange, fixiert seine Hand, nachdem sie sie erst einmal bemerkt hat, und wägt ab, was diese Geste für eine Wirkung haben könnte. Was sie bedeuten könnte. Doch das bringt sie erneut nur dazu, brennende Tränen in ihren Augen zu spüren. Also überwindet sie ihre Furcht und legt ihre Hand zögerlich, dann fester in Silas und drückt sie dankbar. Augenblicklich scheint sie sich zu beruhigen, denn ihre Gedanken drehen sich nun nur noch um diese zarte Berührung.
Silas lächelt schwach in die Dunkelheit hinein und drückt Tamis Hand ebenfalls, während er sanft mit dem Daumen über ihren Handrücken streicht. Wollte sie darüber sprechen, was sie gerade bewegt, hätte sie es wohl getan. Also ist das alles, was er tun kann. Halt geben und zeigen, dass er da und sie nicht alleine ist.
Und tatsächlich wird ihr Atem nach einigen Minuten gleichmäßig. Als die Wut immer mehr verblasst, überwältigt sie die Erschöpfung. Sie schläft ruhig, denn sie weiß, dass ihr nichts passieren wird, solange Silas bei ihr ist.
Die ganze Nacht über liegt Silas so da, die Augen geschlossen, als würde er schlafen, seine Hand in Tamis, welche mittlerweile längst eingeschlafen ist. Er fühlt sich erschöpft und ausgelaugt und als es schliesslich zu regnen beginnt und die ersten Tropfen auf das Dach des Stalles prasseln, findet er endlich den Frieden, den er seit Antariels Weggehen so schmerzlich vermisst hat. In diesem Augenblick ist die Welt in Ordnung. Und es fühlt sich an, als bräuchte er nichts anderes als Tamis Hand in der seinen und einen ruhigen, geschützten Ort, um wieder zurück zu sich selbst zu finden.
Als der Tag schliesslich anbricht, regnet es noch immer. Sean zieht sich an und geht nach draussen in den Garten, wo man das Ausmass des gestrigen Unfalls bei Tageslicht noch besser ausmachen kann. Der Baum hat das Dach nur gestreift und einige Ziegel mitgerissen, wäre er direkt auf das Haus gefallen, hätte die Sache deutlich anders ausgesehen. So aber sammelt er die Schieferplatten einfach zusammen und sucht Hammer und Nägel, um sie oben auf dem Dach wieder zu befestigen, ehe er Regen sich einen Weg durch das Gebälk in sein Haus bahnt.
Tami schläft die ganze Nacht friedlich, wird schließlich aber von dem Prasseln der Regentropfen geweckt, welche sich auf das Dach der Scheune ergießen. Das Erste, was sie an ihrem Körper erspürt, ist Silas' Hand, die in ihrer liegt, auch wenn sie leider nicht wirklich zu ihrem Körper gehört.
Guten Morgen.
sagt sie leise, da sie weiß, dass Silas sicher schon wach ist, und schließt zaghaft die Augen. Ihre Hand löst sie jedoch nicht aus seiner.
Silas zuckt leicht zusammen, obwohl er natürlich wach ist. Aber er war so in seine Gedanken versunken, dass er nicht bemerkt hat, wie Tami aufgewacht ist. Auch er öffnet die Augen und dreht den Kopf, um zu Tami hoch zu blicken.
Guten Morgen.
antwortet er ebenso leise und drückt ihre Hand.
Danke, dass du...
beginnt Tami, bevor sie wirklich weiß, was sie sagen will.
Ich weiß nicht, bei mir warst? Ich glaube, sonst hätte ich kaum geschlafen. Aber so... War es einfach wundervoll.
Sie drückt seine Hand noch einmal, dann löst sie ihre doch daraus, um sich auf den Rücken zu legen und sich zu strecken.
Und wie war deine Nacht?
fragt sie dann schmunzelnd und blickt ihn wieder an.
Dafür sind Freunde da.
antwortet Silas ebenfalls schmunzelnd, obwohl er selbst weiss, dass das Wort "Freundschaft" längst nicht mehr ausreicht für das, was Tami für ihn geworden ist in der kurzen Zeit.
Sehr ruhig, um ehrlich zu sein so gut wie lange nicht mehr. Du hast.. einen guten Einfluss auf meine Schlafgewohnheiten.
Und du auch meine...
erwidert Tami lächelnd und richtet sich auf. Der Schlaf hat tatsächlich all ihre schlechten Gedanken für den Moment vertrieben und lässt sie mit einer Ruhe und Sorglosigkeit in den Tag starten, die sie gerne jeden Morgen spüren würde.
Wirst du noch einmal versuchen, dir mit Sean näher zu kommen?
Silas bleibt liegen und verschränkt lächelnd die Finger hinter dem Kopf.
Ich schätze, ein erster grosser Schritt ist getan. Dank dir.
Draussen erklingt ein erstes Hämmern durch den prasselnden Regen.
Und was ist mit dir? Was.. willst du gerne tun?
Ich weiß es nicht...
gesteht Tami leise seufzend.
Ich habe tatsächlich keine Ahnung. Meine Mission, mein Zuhause zu finden, ist beendet. Meine Mission, dich und Sean wieder zu verkuppeln, irgendwie auch. Was bleibt mir jetzt noch?
Naja.. alles..
lächelt Silas und sieht Tami an.
Du hast keine Mission mehr, dein Körper ist geheilt, du kannst von nun an tun, was immer du willst..
Seine Worte machen sie einen Moment nur noch trauriger, was ihre Augen auch widerspiegeln.
Was denkst du, was ich tun sollte, Silas?
fragt sie, auch wenn es sich selbst in ihren Ohren schwachsinnig anhört. Es ist jedoch so, das sie keine Ahnung hat, was die Welt alles zu bieten hat.
Ich denke, ich würde gerne in die Stadt gehen, doch ich... habe auch Angst davor.
Um ehrlich zu sein.. ich weiss es nicht.
gibt Silas zu, denn diese Frage hat er sich selbst in den letzten Tagen oft gestellt. Er hat sich gefragt, was wohl das beste für Tami wäre, ganz unabhängig davon, was er selbst sich wünschen würde.
Aber du bist nicht alleine, du.. kannst bei mir in den Gewächshäusern bleiben, so lange du willst. In die Stadt ist es von dort aus nicht weit und trotzdem bist du nahe am Waldrand, wenn es dir irgendwie zu viel wird.
Er dreht sich auf die Seite und stützt aufmunternd lächelnd den Kopf auf.
Und irgendwann wirst du dann etwas finden, das dich glücklich macht. Dann wirst du wissen, wohin dein Weg dich führt.
Ich würde gerne bei dir bleiben.
sagt Tami ohne groß darüber nach zu denken. Sie blickt ihn an und lächelt zaghaft.
Ich würde dir gerne zurückgeben, was du für mich getan hast. In Arbeit oder... Gesellschaft. Ganz wie du magst.
Verlegen senkt sie den Blick auf den Holzboden.
Ich sollte erst einmal mit Camden raus gehen.
Silas lacht überrascht auf und schüttelt dann hastig den Kopf.
Nein, du stehst nicht in meiner Schuld. Wenn du bleibst, dann weil du es willst und nicht, weil du dich dazu verpflichtet fühlst.
Er setzt sich auf und rutscht zur Seite, damit sie nicht über ihn steigen muss, um zur Leiter zu gelangen.
Klar, geh nur.. Ich.. komme dann gleich nach.