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Aber natürlich, Direktorin Volmar.
Sie nickt heftig und hört Celina aufmerksam zu. Soll sie ihr wirklich alles erzählen? Was, wenn sie ihr danach sagt, dass die Farben, die sie sieht tatsächlich nur Hirngespinste sind? Vielleicht wäre es besser, in Ungewissheit zu verharren (mit der Hoffnung, möglicherweise begabt zu sein) als enttäuscht zu werden.
Celinas freundlicher Blick erinnert Nya sehr an ihre Mutter. Ihre Mutter, die stets an Nyas Gabe geglaubt und niemals auch nur eine Sekunde lang an ihrem Verstand gezweifelt hat. Die kleine Elbin nistelt mit den Fingern nervös am Saum ihres Kleides herum.
Ich weiss nicht genau, ob es wirklich eine Gabe ist, Direktorin Volmar. Aber ich sehe..
.. ich kann Farben sehen. Immer, wenn ich ein Lebewesen sehe, sehe ich dazu eine Farbe. Manchmal umschwirren die Farben die Leute wie kleine, fröhliche Vögelchen, manchmal haften sie ihnen an wie ein Schleier und manchmal sind sie so schwach, dass ich sie kaum erkennen kann. Aber sie sind da. Und sie verraten mir viel. Ich meide Menschen, die von grauen Schleiern bedeckt werden oder auch die blau-grauen. Sie sind oft übel gelaunt und durch und durch negativ.
Nya hält einen Augenblick inne und versucht, Celinas Blick zu ergründen.
Das was du beschreibst ist eine Form von Magiesicht Nya.
sofort strahlt Nya auf, das kann sie sehen. Sie schien sich zuvor nicht ernst genommen gefühlt zu haben.
Nur sehr wenige sind von Natur aus in der Lage sie ein zu setzen. Ich zum Beispiel nicht. Ich muss meinen Geist dazu auf eine andere Ebene versetzen.
Deine Gabe, ja ich nenne es Gabe, hat den Vorteil, dass du sie von sich aus besitzt und einsetzen kannst. Mit etwas Übung kannst du deine natürliche Begabung auch mit Gelerntem verknüpfen. Dann kannst du die Magie der Personen und Wesen genauer bestimmen. Den Fluss folgen.
Ich nenne es gerne Fluss, aber vielleicht ist es leichter Magie als ein Netz zu beschreiben. Jeder Zauber ist ein anders gewebtes Netz. Jemand der versteht wie ein Netz aufgebaut ist, kann den Zauber auch entschlüsseln, auflösen oder kopieren.
Nyas Gesichtszüge hellen sich auf. Sie kneift einige male die Augen fest zusammen und atmet tief durch, um vor Erleichterung nicht zu weinen.
Das... Das heisst, Ihr glaubt mir nicht nur, sondern Ihr könnt die Farben auch sehen, Direktorin Volmar?
Ich bin also nicht verrückt..
Celina kann ihre Zuversicht nur teilen und strahlt zurück.
Nein, du bist nicht verrückt.
Du hast eine Gabe. Ebenso wie ich, auch wenn sie sich unterscheiden. Ich sehe das Netz, den Fluss, du die Farben.
Der Unterschied ist nur die Auffassungsgabe die wir haben. Nicht mehr als wenn das Gras von der einen Wiese grüner scheint als von der anderen.
Du wirst an dieser Akademie viele Unterschiede bemerken. Talente, Gaben, Auffassungsvermögen und Sichtweisen sind überaus verschieden vertreten. Nicht alle Magier haben die gleichen Fähigkeiten oder die gleiche Gesinnung. Es macht also nichts, wenn du anders bist, denn jeder ist anders und damit etwas besonderes.
Nya bemüht sich, nicht vor Freude aufzuspringen und die Direktorin zu umarmen. Das würde sich wohl nicht schicken. Doch eine grössere Freude hätte ihr Celina nicht machen können. Ich bin nicht verrückt!
Und glaubt Ihr, ich kann diesen Farben trauen? Also auf das vertrauen, was ich sehe? Manchmal widersprechen die Farben dem, was man offensichtlich zu sehen glaubt. Manche Leute scheinen so nett, haben aber dennoch eine schrecklich hässliche Farbe. Wie das blasse Grün von frischem Krötenschleim oder das matte Grau, das die Haut der Toten annimmt. Das verwirrt mich.
Die bekannte Unsicherheit schleicht sich wieder in Nyas Blick. Sie traut sich nicht zu fragen, ob das nun heisst, dass die Direktorin sie in die Akademie aufnehmen wird. Vielleicht braucht sie ja für ihre Entscheidung noch etwas Zeit, oder sie wird gleich bemerken, dass Nya doch zu wenig begabt ist und doch nicht hier her passt.
Inwieweit du diesen Farben trauen kannst, wirst du selbst lernen müssen Nya. Das will ich an der Akademie lehren, ergründe und vertraue dir selbst. Bedenke nur eines: Es gibt Leute, die voller Schmerz und Gram sind, sich aber zu guten Taten bekehren lassen und jene welche nur Gutes im Sinn haben, in ihrem Handeln aber andere schaden. Nichts ist fest geschrieben, niemand ist ein fertiges Produkt und eindeutig zu lesen.
Du musst allen deinen Sinnen zuhören. Nicht nur dem Ohr oder dem Auge oder der Magie allein. Mit der Zeit wirst du alle Anzeichen richtig deuten können.
Eine andere Frage. Du hast gesagt, wenn du wütend wärst, würden Dinge geschehen. Erzähl mir bitte davon.
Nya nickt. Dann senkt sie den Blick.
Manchmal werde ich zornig. Wenn meine Schwestern mich ärgern, weil sie sagen, dass ich verrückt bin. Normalerweise geschieht nichts, doch wenn sie nicht aufhören, und mich nicht in Ruhe lassen, beginnen meine Hände zu kribbeln und mein Herz zu schlagen, als wollte es zerspringen. Doch es ist nicht mein Herz, das zerspringt. Es sind Gläser, Tassen, Fensterscheiben oder sogar die Kuckucksuhr meiner Mutter, die in winzigen Stücken durch die Luft sausen. Ich habe schon so viele schöne und manchmal auch wertvolle Dinge zerstört... das tut mir so schrecklich leid... Einige meiner Schwestern haben Angst vor mir, weil sie Schnittwunden davongetragen haben.
Nun kann sie ihre Trauer nicht mehr zurückhalten. Eine dicke Träne kullert über ihre Wange. Doch Nya wischt sie mit einer schnellen Handbewegung weg.
Celina nickt verständnisvoll und ist kein bischen verwundert. Celina greift nach einem bestickten Taschentuch und überreicht es Nya. Natürlich hätte sie dieses auch schweben lassen können, doch ihr ist die persönliche Note dabei wichtig.
Emotionen können unsere magischen Kräfte ausbrechen lassen. Sowie Wut oder Besorgnis einige zu ungeahnten körperlichen Höchstleistungen treiben können, kann unsere Magie hervorbrechen. Wie ein Teekessel der immer weiter unter Druck gerät. Mit der Zeit wirst du dich kontrollieren können. Es ist alles eine Frage der Selbsterkenntnis und Konzentration.
Das erinnert mich an etwas. Möchtest du etwas trinken Nya? Heiß, Kalt, ich habe alles mögliche da.
Nya nimmt das wunderschöne Taschentuch, traut sich aber nicht, damit ihre Tränen zu trocken. Es ist zu kostbar und riecht zu gut, als dass sie es beschmutzen wollte. Sie schnieft leise und sieht dann zur Direktorin auf.
Wenn... wenn es keine Umstände macht, dann wäre etwas heisser Tee wunderbar.
Direktorin Volmar? Könnt Ihr mir beibringen, wie ich diese Kräfte kontrollieren kann? Ich kann so nicht wieder nach Hause...
Sie nickt und steht auf um zu den hinteren Räumlichkeiten zu gehen. Hin und wieder ist es doch angenehm etwas selbst zu tun, so wie Tee auf zu setzen. Außerdem kann es so weniger passieren, dass die kleine Chen in Kontakt mit brühendem Wasser gerät. Sie erhitzt das Wasser und gibt die Teeblätter aus Kitai hinein, bevor sie mit der Kanne wieder hervorkommt. Die Tassen folgen ihr freiwillig.
Ja das kann ich.
In der Akademie wirst du nicht nur lernen deine Fähigkeiten zu kontrollieren, sondern sie auch zu erweitern und zu nutzen. Ich bin mir sicher, du wirst dich hier sehr wohl fühlen.
Nya muss unweigerlich kichern, als die Tasse vor ihrer Nase auf den Tisch schwebt und sich so ausrichtet, dass der Griff von Nya aus gesehen nach rechts aussen zeigt. Sie weiss natürlich, was man mit Magie alles bewirken kann, doch es jetzt so zu sehen, ist etwas ganz anderes. Mit einem schüchternen Blick auf die Direktorin, umfasst Nya die Tasse mit beiden Händen und hält sie eine Weile fest, damit sich ihre kalten Hände etwas aufwärmen. Ihr ist nicht entgangen, was Celina gerade gesagt hat und ihr Herz hüpft aufgeregt beim Gedanken daran, dass sie nun hier bleiben darf. Ihre Mutter wird platzen vor Stolz, das weiss Nya genau.
Ihr habt die schönste Farbe, die ich jemals gesehen habe, Direktorin Volmar. Noch niemals hat jemand so hell geleuchtet, der mir begegnet ist. Nicht einmal der Herr, der eines Tages zu unserem Hof gekommen ist, und meinte, er hätte eine Erleuchtung gehabt und müsse von nun an leben wie ein Pferd. Dabei dachte ich, immer, er muss gewiss sehr spirituell veranlagt sein, wenn er eine Erleuchtung gehabt hat.
Du schmeichelst mir.
Celina winkt ab und setzt sich wieder hin.
Dafür bekommst du aber keine bessern Noten.
tadelt sie Nya scherzhaft und lacht herzlich auf.
Jemand der sich für ein Pferd hält? Das ist sogar etwas, von dem nicht einmal ich gehört habe. Er scheint überaus verwirrt zu sein.
Oh, nein.. ich wollte nicht...
Nyas Wangen färben sich zartrosa.
Ihr seid nur neben meiner Mutter die einzige, mit der ich über die Farben sprechen kann, die ich sehe.
Sie nimmt einen grossen Schluck Tee und der warme, fremdländisch riechende Dampf steigt ihr in die Nase.
Wisst Ihr, manchmal denke ich, dass er vielleicht nicht verwirrt, sondern ausserordentlich intelligent ist. Wer kann schon von sich behaupten, dass er ein warmes Dach über dem Kopf und immer genügend zu essen hat, ohne dafür zu arbeiten?
Wer ein Leben des Müßiganges liebt, ja, der könnte so ein Leben als lohnenswert erachten, das stimmt.
Sie nimmt ebenfalls einen Schluck, hält ihre Tasse in beiden Händen und lehnt sich zurück.
Aber auch Pferde arbeiten und verdienen sich ihren Lohn. Mag es auch als Packtiere, Reittiere oder als Zuchtmaterial sein.
Die Vorstellung findet sie überaus amüsierend. Sie muss Mab einmal dieses Bild beschreiben, die hat den richtigen Humor für solche Dinge.
Was ist aus ihm geworden?
Oh, nichts. Ich meine.. es geht ihm gut. Er lebt bei unseren Tieren im Stall und ist das aufmerksamste und scharfzüngigste Pferd, das wir jemals hatten.
Nya grinst beim Gedanken an den Mann, der nur noch auf allen vieren kriechend auf dem Gutshof ihrer Eltern lebt. Ihre Mutter hatte schon immer ein grosses Herz für Andersartige.
Ihr lasst ihn auf Eurem Hof leben?
Celina muss lachen. Die Geschichte wird besser und besser.
Oh ich muss mir das irgendwann einmal ansehen.
Sie seufzt erheitert, wird aber sogleich grüblerisch.
Seid ihr sicher dass er nicht einfach verrückt ist? Ich bin zwar die letzte die jemanden Eigenheiten abspricht, aber könnte er nicht auch einfach geisteskrank sein?
Nya zuckt mit den Schultern und denkt einen Augenblick lang über die Worte der Direktorin nach.
Geisteskrank? Ich weiss nicht. Ich glaube, es geht ihm eigentlich ziemlich gut. Zumindest besser als vorher, als er immer wieder von den Milizen aufgegriffen wurde, weil er es sich in fremden Ställen gemütlich gemacht hat. Einmal hat er sogar versucht, sich in der kaiserlichen Menagerie einzunisten. Als wir ihn bei uns gefunden haben, waren seine Farben sehr blass, doch nun strahlt er in leuchtendem Gelb.
Jemand kann geisteskrank und doch harmlos sein.
Versteh mich bitte nicht falsch Nya, ich möchte gerne helfen. Vielleicht ist er sich seiner Verwirrtheit nicht einmal bewusst und könnte geheilt werden. Wenn du erlaubst, würde ich gerne die Eirae Rotverniasses verständigen. Wenn das nächste Mal jemand in der Gegend ist, soll er vorbeischauen und ihn sich ansehen. Ich habe eine gute Verbindung zu Meister Darius.
Einverstanden?
Nein, nicht Darius schon wieder... :D
Ts, als ob der wegen einen Irren sich selbst auf den Weg machen würde :D