Ich hab kein gutes Gefühl dabei. Woher wissen wir, dass er genug hatte? Kyra hat sich hinter einem Bücherregal versteckt und knabbert an ihrer Oberlippe. Sie hatte ihre Aufgaben in der Küche erledigt und ist zurückgekommen um ihre Chance zu nutzen.
"Bist du noch nie einen Betrunkenen begegnet? Du wirst es schon merken."
Natürlich kennt sie Saufköpfe und das andere Gesindel. Jede Dienstmagd hat auf die ein oder andere Weise mit ihnen zu tun. Gerade als sie sich wieder zu ärgern beginnt, hört sie wie etwas auf den Boden fällt und zerbricht. Die Teekanne? Nein, dafür war es zu klein... Seine Tasse! Jetzt oder nie. Kyra wendet sich langsam aus ihrem Versteck. Der Bibliothekar ist schon von weitem zu hören. Er scheint gerade dabei zu sein seinen Schreibtisch von Büchern und anderen Dingen zu säubern, da sie nacheinander auf den Boden klatschen.
Ah, da ist ja die feine Dame wieder... willkommen... willkommen. Ist doch schön Gesellschaft zu haben. Ich bin hier so allein.
Das glaubst auch nur du. Wenn du wüsstest wie oft ich schon heimlich hier rein geschlichen bin. Sie behält es für sich und nimmt ihre Schreibtafel zur Hand. Geschickt schreibt sie darauf etwas und hält es in seine Richtung.
I C H S U C H E E I N B U C H
Kyra wartet. Keine Reaktion. Schaut er überhaupt zu mir? Sie stampft einmal fest auf den Boden auf und auch sofort kann sie das rascheln von Kleidung hören. Der Kerl hat sie doch tatsächlich einfach weggedreht.
Wie,was? Was steht da? ... Ich kann es nicht lesen... Meine Brille... muss hier irgendwo sein... und alles dreht sich so...
Kyra kann es nicht fassen. Kann es sein, dass dein genialer Einfall einige kleine Schwachstellen besitzt?
"Ich fragte mich schon, wann du sie bemerken würdest. Ich fürchte unser Freund hier hat sich den Sud ein wenig zu schnell eingegossen."
Die Stimme lachte. Sie lachte ganz einfach mit diesem fiesen überheblichen Lachen welches durch die Zähne gezogen wird. Das ist nicht komisch! Wenn er meine Fragen nicht lesen kann, dann war alles umsonst!
"Eigentlich schon. Sogar sehr komisch."
Ihr reichts. Schluss mit den großartigen Plänen. Entschlossen geht sie auf den Bibliothekar zu, umrundet noch schnell den Schreibtisch, stolpert dabei fast über die am Boden liegenden Bücher und tastet nach ihn. Der Kerl ist ziemlich überrascht, als die schmächtige Magd ihn zu fassen bekommt und an sich heran zieht. Sie klopft mit der Tafel hart auf seinen Kopf und hört ein zufrieden stellenden Schmerzenslaut. Dann hält sie ihm das Geschriebene direkt vor die Nase.
Was... achso... ein Buch... ja, ja, kein Problem. Bücher haben wir genug da. Aber was wollt Ihr den mit einem Buch? Na egal. Sagt mir einfach welches es sein soll.
Warum nicht gleich so? Zufrieden wischt sie die Buchstaben von der Tafel und beginnt von neuem zu schreiben. Den Titel hat sie sich noch gemerkt.
E R Z Ä H L U N G E N U N D E R F O R S C H U N G E N
Sie hält es ihm wieder vor das Gesicht. Die Kante ihrer Tafel muss ihm irgendwo getroffen haben, vielleicht an der Nase oder im Auge, jedenfalls hört sie ihn wieder kurz aufschreien.
Davon haben wir viele.. sehr viele...
Sie wischt die Buchstaben wieder hinfort und ergänzt den Titel.
V O N A L B E R T I K U S V O N O R L A Y
Sie hört zuerst nichts, hält die Tafel einmal weiter weg, dann wieder ganz nahe.
Ach DAS sucht Ihr! Jaja, schönes Märchenbuch... mehr ist es nicht... Ich habs wegverstaut. Die Schüler haben seine Geschichten für authentisch gehalten. Warte, ich hol es Euch.
Er befreit sich aus ihrem Griff und stackst durch die Bibliothek. Es wäre kein Problem ihn auch auf Entfernung genau zu verfolgen, so laut ist er.
"Märchenbuch? Ts, wie können sie nur? Sicher, Albertikus nahm es mit der Wahrheit nicht immer so genau. Aber er hat einige der größten Entdeckungen aus den Zeiten vor dem Kaiserreich gemacht. Er hat die Schläferin gefunden. Wie er das geschafft hat ist mir bis heute ein Rätsel. Irgendwie hatte er ein Talent dafür, genau in jene Löcher in Böden zu stolpern welche ihn zu fantastischen Funden brachten, und das ohne sich den Hals zu brechen."
Für Kyra hörte sich die Beschreibung weniger nach einem echten Forscher, sondern nach einem landstreichenden Glückspilz an. Sie war sich auch nicht zu fein ihre Meinung auch laut zu denken.
"Als ob die heutigen Forscher anderes tun. Ihnen muss der Kopf mit wertvollen Schrifttafeln praktisch eingeschlagen werden damit sie diese erkennen. Ich frage mich wirklich wie sich diese Civilisation entwickeln konnte."
Das hört sich ja fast schon nach Eifersucht an kleine Stimme. Es gab selten Gelegenheit sie erfolgreich zu reizen, und wenn, dann genoss Kyra dies um so mehr. Die Stimme reagierte mit noch größerer Empörung.
"Keine Eifersucht. Ich bin es nur leid zu warten bis sie die nächste magische Kugel ausgraben oder heiligen Kelch bergen. Ich bin geduldig, aber doch nicht bis so geduldig."
Interessant. Und deshalb lässt du mich jetzt ein Artefakt finden, nicht wahr? In ihrem Kopf herrschte Stille. Oh angenehme Stille. Warum sonst wolltest du, dass ich dieses Buch raussuche?
"Ich sage dies nicht sehr oft. Aber du bist ein kluges Mädchen Kyra."
Danke. Ein Lob kam wirklich nicht sehr oft vor. Sie musste lächeln.
"In der Tat hast du dich seit unserem ersten Gespräch sehr gewandelt. Als wir uns begegneten warst du sehr verschreckt und ängstlich. Du konntest dir ein Weiterleben nicht vorstellen. Doch du bist gewachsen. Innerlich gewachsen. Nicht viele hätten solche Schicksalsschläge verkraftet. Du jedoch hast deine Sinne erweitert, wie kaum ein Wesen vor dir. Und vor allem bist du selbstsicherer geworden. Ich mag dir oft eine Geduldprobe gewesen sein, doch du hast gelernt dich durchzusetzen. Das hast du auch beim Bibliothekar bewiesen. Die Kyra von früher hätte sich das nicht getraut."
Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Ein Lob mag hin und wieder vorkommen, doch das hier war etwas vollkommen anderes. Danke... das, war nett... was führst du im Schilde?
"Nichts. Ich hielt es nur für angebracht.
Übrigens, dein Buch kommt gerade."
Dann... nochmals danke. Und ich höre ihn. Kyra war immer noch verdattert. Konnte es sein, dass sie endlich respektiert wird? Der Bibliothekar ist zurück und drückt ihr etwas dickes, buchförmiges in die Hand.
Bitte sehr. Bring es zurück wann du kannst. Ich brauch es nicht.
Gut dass er sich morgen nicht daran erinnern wird. Ich glaube er würde sich umbringen wenn ihm einfallen würde, dass er ein Buch einfach so hergegeben hat. Sieverbeugt sich knapp als Dank und macht sich auf den Weg in ihre Kammer. Das Buch stopft sie in ihr Kleid hinein damit es nicht gleich unterwegs gesehen wird..
"Manche Leute können einfach nicht abschalten. Sie folgen Stur ihren Ritualen oder sitzen spät nachts bis nach 3 noch in ihrer Kammer und schreiben Texte. Wenn sie wenigstens gelungen wären."