Kaiserreich Drachenstein

Das Wetter war ekelig. E-kel-ig! Die Kälte kroch unter Tories Poncho und der Regen troff aus ihren Haaren auf Schultern und Rücken. Mißmutig stapfte Tori durch den Wald! Wenn ihr das heute Morgen einer gesagt hätte! Ein Handy hatte sie nicht mitgenommen. Sie wollte ja nur mit den beiden Katzen in den Wald hinter dem Zirkusplatz Gassi gehen. Und nun? Nun hatte sie sich hoffnungslos verlaufen! Sie hätte nie gedacht, daß das in einer Großstadt wie Altburg ginge. Aber sowas von gründlich verlaufen ... Das Zelt war weg, der Platz war weg, die Straße war weg ... Eigentlich war alles weg. Nur Tori war noch da und Maunz und Peterle. Den beiden Ligern setzte das Wetter noch mehr zu als Tori. Bei so einem Wetter wäre sie nie mit den beiden raus gegangen. Dabei war heute morgen strahlendster Sonnenschein.

Maunz und Peterle machte das Wetter wirklich noch mehr zu schaffen. Bei diesem Regen hätte sie die beiden im Auflieger ihres Sattelschleppers gelassen. Schön warm und trocken. Hoffentlich erkälteten sich die beiden nicht. Wenn sie selbst ... sie war schon mit Fieber aufgetreten und hatte sich aus der Zirkuskuppel gestürzt. The show must go on! Aber die beiden? Ohne die beiden Dreihundertfünfzigkilokatzen war ihre Show nicht die Hälfte wert. Sie am Vertikaltuch, die beiden unten in der Manege. Das war einmalig! Sie allein am Tuch ... das war traurig.

Tori verfing sich in so einem hinterhältigen Unterholzgeranke, welches sie einfach nicht mehr frei geben wollte. Mist! Und je mehr sie zog und zerrte, um so mehr dieser fiesen Dornen schienen sich um ihre Beine zu wickeln. Mit einem herzhaften Ruck riß sie sich los. Und das Geräusch, was dabei ertönte, war als gut zehn Zentimeter langer Riß in ihrer Hose sichtbar. Schei...! und als sie weiterlief bohrte sich noch ein Dorn dieses bösartigen Gewächses durch ihre Schuhsohle und rammte sich in ihren Fuß. Autsch!

Genervt und resigniert humpelt Tori weiter. Ohne auf den Weg zu achten. Und das war ein Fehler. Sie lief gegen einen Baum und dachte nur noch, dass das hoffentlich keinen blauen Fleck gäbe. Mist! Mist! Mist! Doch halt .. was war das? Die Borke des Baumriesen war an einer Stelle übermannshoch aufgerissen. Dahinter gähnte eine dunkle Höhlung. Tori überlegte nur kurz. Ihr Fuß schmerzte, es war kalt, sie war nass ... alles war Sch...!

Schnell schlüpfte sie in den hohlen Baum und setzte sich. Hier regnete es zwar nicht mehr, aber kalt war es immernoch. Mißmutig legten sich Maunz und Peterle vor den Baum. Nass und alles andere als erfreut. Die Kälte kroch Tori in die Glieder und ins Gemüt. Sie machte sie schläfrig. Wäre sie doch nur in ihrem Sattelzug, im Warmen, Trockenen ...

Tori schlief ein.

Als Tori aufwachte, hatte sie keinerlei Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte. Die Sonne stand nicht anders am Himmel, aber es hatte aufgehört zu regnen. Sollte sie einen ganzen Tag geschlafen haben? Und sie hatte Hunger. Jetzt einen Kaffee und ein paar frische Brötchen mit Käse ... ein Traum! Mit Schrecken wurde Tori klar, dass da wohl noch zwei andere waren, die ebenfalls Hunger hatten. Die beiden waren siebenmal schwerer als sie, ihr Hunger also wohl auch sieben mal größer. Aller drei Tage ein halbes Schaf, das war ihre Ration. Nun gut, sie hatten vorgestern gefressen. Noch war alles im grünen Bereich. Dunkelgrün.

Tori schälte sich aus dem Baum. Draussen lagen Maunz und Peterle und schauten sie an. Sie ging auf die beiden zu und knuddelte sie erst einmal. Sozialarbeit. Sie war die Alpha.

Dann ging sie los. Nach zehn Metern rief sie die beiden. Die beiden Kater standen träge auf und folgten ihr. Gemächlich.

Wieder bahnte sich Tori ihren Weg durch das Unterholz. Im Unterholz wuchsen Beeren. Erdbeeren waren es nicht. Blau- oder Brombeeren auch nicht. So wagte sich Tori nicht, die Beeren zu probieren. Maunz und Peterle ging es sicher nicht besser als ihr. Jagen hatten sie nie gelernt. Das war auch besser so. Sonst hätte es ständig Ärger mit irgendwelchen Jagdfuzzis und Tierschützern gegeben. Den hatte sie wie alle Zirkusartisten mit Tieren sowieso mehr als genug. Sie hatte sich angewöhnt, an allen Gastspielorten erst einmal den Jagdmenschen ihre Anwesenheit mitzuteilen und ihnen Kontakt mit den Katerchen zu geben.

Irgendwann, Tori hätte es fast gar nicht bemerkt, stand sie auf einem Waldweg. Nicht viel mehr als ein Trampelpfad, aber immerhin ein Weg. Und Wege führten immer von irgendwo nach irgendwoanders. Tori überlegte. Wo könnte das Stadtzentrum von Altburg sein? Links? Rechts?

Sie entschloss sich für links und lief los.

*hunger*

*kalt*

*hunger*

Mißmutig trottete Peterle neben den beiden anderen her.

*hunger*

Die Spur eines Geruches erreichte seine Nase. Tief sog er die Luft ein.

*fressen* *wäks* *fressen*

Er setzte sich in leichtem Trab in Richtung des Geruches in Bewegung.

*hunger*

*hunger*

*kalt*

Sein Bruder schien etwas Interessantes entdeckt zu haben.

*hunger*

Er trabte ihm hinterher. Nach ein paar Schritten roch er, was Peterle vor ihm bemerkt hatte.

*fressen*

*WÄKS!!!*

Als sie den Rand der Lichtung erreichten, sträubte sich den beiden Ligern jedes einzelne Haar.

*W Ä K S !*

*G E F A H R ! ! !*

Mit zu Boden gerichtetem Blick folgte Tori dem Pfad. Sie hatte keinerlei Lust, sich das andere Hosenbein auch noch von irgendwelchem Wildwuchs zerreißen zu lassen. Nur hin und wieder hob sie den Kopf, um nach einem Anzeichen von Zivilisation Ausschau zu halten.

Ein knackender Ast ließ Tori aufschauen. Munz und Peterle hatten sich in Trab gesetzt und steuerten irgendeinem Ziel zu. Wahrscheinlich hatten sie den Geruch von irgendetwas Fressbarem in der Nase. Etwas Fressbarem! Schei...!

"Maunz! Peterle!" Das gab doch wieder nur Ärger, wenn die beiden einem Reh nachsetzten oder auch nur einem Kaninchen!

Maunz und Peterle hörten nicht. So lief auch Tori los um Schlimmeres zu verhüten. Quer duchs Unterholz setzte sie ihren Katzen nach, bis diese apprupt stehen blieben. Zwischen beiden hindurchlaufend blieb Tori vor ihnen stehen und drehte sich zu ihnen um.

"So, hier bleibt ihr. Und lasst mir die Kaninchen in Ruhe. Das dürft ihr nicht, dass wisst ..." Jetzt erst bemerkte Tori die Bürsten, die beide auf dem Rücken hatten. Gespannt starrten beide an ihr vorbei und ließen irgendetwas nicht aus den Augen. Wildschweine! Zum Glück gab es in einem Wald ja genug Bäume, um hinauf zu klettern. Und Maunz und Peterle könnten ja, aus reiner Notwehr versteht sich ... Aber sie nicht! Langsam drehte sie sich um und als sie sah, was die Beiden so anstarrten, klappte ihr Unterkiefer herunter.

Sie war mitten in dem Dreh zu einem Film oder sowas gelandet. Da hatte sich einer die Mühe gemacht, ein Riesenviech zu bauen und mitten auf die Wiese zu stellen. Das sah irgendwie aus wie eine Mischung aus Spülbergs "Jurawelt" und "Die Herrin des Rings". Geil! Und wo eine Filmkulisse rumstand, da war auch das Filmteam! Zumal sich das Gummimonster dort auch noch bewegte! Irgendwo musste ja der sein, der das Gerät steuerte.

Tori lief los auf die Wiese. "Heh ... Hilfe! Filmcrew! Tschuldigung, wenn ich Euch die Einstellung versaue, aber ich brauche Hilfe!" rief sie in ihrem etwas unperfekten Livornisch. Auf halbem Weg dreht sie sich um in Richtung Waldkante und rief laut "Kommt raus und zeigt Euch! Ich brauche HILFE!!!! Bitte!!!"

Ja bitte?

Tori lauschte in Richtung Wald. Nichts. Gar nichts. Maunz und Peterle hatten inzwischen anscheinend auch eingesehen, das das Silikonviech harmlos war. Sie waren aus dem Wald herausgetreten, verharrten aber nahe der Waldkante.

Plötzlich schrak Tori zusammen. Hinter ihr ertönte etwas, was wie eine Mischung aus Rülpsen und den unverständlichen Äußerungen eines volltrunken Seemanns klang.

Tori drehte sich um und sah - niemanden. Nur dieses Sauriermodell hatte sich bewegt und wer immer es steuerte fand es wohl lustig, es jetzt so aussehen zu lassen, als würde diese geflügelte Eidechse Tori anschauen. Da war aber niemand. Also drehte sich Tori wieder zum Waldrand und rief aus Leibeskräften: "Eh, nicht lustig! Zeigt Euch!"

Der Schwall eines Geruches zog an Tori vorbei. Ihr wurde fast übel. Das roch genau so, wie damals, als die häßliche Anakonda von Koringa, der Fakirin, mit der sie zwei Saisons lang im gleichen Engagement gereist war, Mundfäule hatte. Zugleich zog ein Luftzug an ihr, als hätte jemand hinter ihr einen Reisestaubsauger angestellt.

Sie drehte sich um um zu sehen, wo das herkam und sah hinter sich den faßgroßen Schädel dieses Saurierverschnittes. Man da hatte sich jemand wirklich die Mühe gemacht, der Figur Atembewegungen einzubauen. Naja, vielleicht für Nahaufnamen.

Angewiedert versuchte Tori den Schädel zur Seite zu schieben. "Och man, hau ab! Du stinkst!" Natürlich hatte sie ungefähr so viele Chancen dieses Gestell zu bewegen, als hätte sie versucht, einen Kleinbus wegzuschieben. Die Größe kam ja in etwa hin. Ein etwas größerer Kleinbus. Ein bisschen bescheuert kam sie sich ja schon vor. Da redete sie schon mit einem Auto.

Och das nervte. Wo waren nur diese Filmtypen. Angefrustet lehnte sich Tori an den Kleinbus. Also an diesese Filmkulisse. Sie war sauer auf diese Leute, die anstatt ihr zu helfen hier ihren Spaß mit ihr trieben. Unter ihr hob und senkte sich der Silikonbezug des Sauriers.

*HUNGER*

*wäks*

*wäks*

*Gefahr*

*HUUUUUUNGER!*

Plötzlich begann vor Alpha Fressen zu springen. Alpha befahl spielen!

Peterle sprang auf und lief in großen Sätzen auf Alpha zu.

*hunger*

*hunger*

*hunger*

*wäks*

Der andere sprang auf und lief zu Alpha.

*hunger*

*BEUTE!*

Maunz sprang auf und hetzte seinem Bruder hinterher.

Tori suchte mit ihren Blicken noch immer den Waldrand ab, als sie bemerkte, daß die beiden Liger auf sie zugesprungen kamen. Einen Augenblick später sah sie auch den Grund dafür - weiß der Geier, woher diese beiden Hasen plötzlich aufgetaucht waren! 

Tori musste handeln! Sie trat einen Schritt vor, streckte den beiden Tieren die flache Hand entgegen und rief ein energisches "Halt!"

Peterle, der in Führung lag, gehorchte sogar. Im Sprung rollte er sich zusammen und kugelte vor Toris Füße. Maunz hatte weniger Glück. Um nicht über Peterle zu stürzen sprang er über diesen hinweg und krachte mit seinen dreihundertfünfzig Kilo Lebendmasse in die Flanke des Sauriermodells.

Ein wenig Vorsichtig beim herumtollen, ja? Ich verstehe sowieso nicht warum sich jemand einem Menschen unterordnen soll... ich meine, das ist so erniedrigend...

Jetzt wurde es so abgespaced, das Tori völlig aus der Fassung geriet. Diese Silikonmonster schnappte sich Maunz und schickte sich an, ihn zu fressen! Fressen! Das machen doch nur ... Tiere! Solte dieser Saurier ... doch Juraland?!? Maunz wehrte sich zwar wie ein Berserker, hatte aber irgendwie kaum eine Chance. Genauer gesagt sogar gar keine. Und jetzt ... jetzt ... der Saurier öffnet sein Maul ... und ... wieder erklingt das Gelalle des besoffenen Seemannes. Fast könnte man meinen, der Saurier wirde mit Maunz R E D E N! Total bescheuert! Aber nicht bescheuerter als wenn hier auf der Wiese bei Altburg ein Dino ...

Tori beschloß, das es sinnvoll wäre, langsam und vorsichtig rückwärts zu gehen. Zum Glück beachtete sie der Saurier gerade nicht. Statt dessen ... wie um noch eins draufzusetzen, rülpste er ins Gras und dort begann es zu funkeln und zu flimmern. So wie in dieser Fernsehserie Sternenbrücke. Ein Alien! Das war eindeutig ein Aliensaurier!

Tori lief schneller rückwärts.

"Du lach nicht! Du überdimensionale Blindschleiche! Das ist alles nur wegen dir!"

Wer hat den die Golems alle zerstört? Ha?

"Ist das diejenige wegen der du mich gerufen hast? Die die gerade wegläuft?"